Textlabor #25

Gewerkschaft gendern, bitte wie?

Manchmal entstehen beim gendergerechten Schreiben Formulierungen, die irritieren. Die Autorin des nachfolgenden Beispielsatzes benutzte eine weibliche Form, fand den „Anblick dann aber doch ungewohnt“ und fragte im Textlabor nach unserer Meinung.

Wie sollte dieser Satz (richtig) geschrieben werden:
„Sie sprechen Gewerkschaften eine korrigierende und vermittelnde Rolle zu und nehmen sie als machtvolle Akteurinnen [oder: Akteur*innen?] wahr.“

 

Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache soll die Vielfalt der Geschlechter aufzeigen und Frauen sprachlich sichtbar machen. Gilt dieser Anspruch auch bei Organisationen und Institutionen? Klare Antwort:

Nur Menschen werden gegendert!

Trotz dieser doch recht eindeutigen Ansage, wollen wir den Dingen auf den Grund gehen. In ihrer Frage stecken weitere interessante Aspekte des Genderns. Wir haben uns dazu belesen, daher finden Sie in unserer Antwort Fachwörter aus der Linguistik!

Die Gewerkschaft ist weiblich, genauso wie die Bank oder die GmbH. Das ist das grammatische Geschlecht, der Genus. Im Deutschen wird dieser Genus bei Wörtern mit Sachbezug mal so, mal so vergeben, denken Sie an Wörter wie der Mond und die Sonne, der Löffel und die Gabel.

Dieser Genus ist ein „rein grammatisches Merkmal zur Einteilung in Deklinationsklassen“, steht im „Handbuch geschlechtergerechte Sprache“ des Duden. Ein soziales Geschlecht oder gar biologisches Geschlecht, auch genannt Sexus, trifft weder auf Löffel und Gabel, noch auf die Gewerkschaft zu.

Ihr geschärftes Sprachbewusstsein vermittelt Ihnen jedoch, dass ein beigefügter Substantiv ebenfalls weiblich sein müsste: „Gewerkschaften als machtvolle Akteurinnen.“ Dies ist die grammatikalisch stets gewünschte Kongruenz zwischen Subjekt und Prädikativ: Das Hauptwort und seine Beifügungen sollen grammatikalisch übereinstimmen.

Bisher war es allerdings üblich, bei sachbezogenen Wörtern das Prädikativ (das ist das Wort, das sich auf das Subjekt des Satzes bezieht) männlich zu setzen. Ein Satz wie: „Gewerkschaften als Akteure“ hat uns lange nicht gestört. „Gewerkschaften als Akteurinnen“ dagegen irritiert, weil dies ungewohnt erscheint, das sagen Sie ja selbst. Im allgemeinen Sprachwandel erscheint uns die zweite, angepasste Formulierung dennoch richtig: Sie stellt formale Kongruenz, also eine Übereinstimmung beim Genus her. Semantische Kongruenz wäre es, wenn die Gewerkschaft als weiblich verstanden werden würde. Sie merken, das führt sehr weit.

Letztlich geht es „nur“ um den Genus einer Organisation – und nicht darum, das Geschlecht von Personen sichtbar zu machen. Wir kennen noch weitere Beispiele: Die XY-GmbH als Arbeitgeberin, oder ist sie der Arbeitgeber? Die ABC-AG als Gläubigerin oder ist sie doch ein Gläubiger?

An dieser Stelle scheiden sich die Geister: Kongruenz oder nicht? Beides ist richtig, entscheiden Sie nach Ihrem Sprachgefühl.

Was Sie auf keinen Fall tun sollten, ist in Ihrem Beispielsatz einen Genderstern in das Wort Akteurinnen setzen. Das Sternchen steht für die geschlechtliche Vielfalt von Menschen. Auch wenn sich in Gewerkschaften Frauen, Männer und Trans*Personen engagieren, sowie andere, auf die das Geschlechtsmerkmal „divers“ zutrifft, das Wort Akteur oder Akteurin bezieht sich in Ihrer Formulierung auf die Gewerkschaft. Die muss die Vielfalt ihrer Mitglieder nicht im Wort markieren: Gewerkschaft ist und bleibt ein Wort mit Sachbezug.

Etwas anderes ist, wenn Sie schreiben:  „Die Gewerkschaften und ihre Akteur*innen“. Denn dann meinen Sie die Menschen, die sich in der Gewerkschaft engagieren. Und die sind ziemlich sicher hinsichtlich der Geschlechtsidentität vielfältig. Bei einem solchen Satz ein Sternchen zu setzen, ist sehr zeitgemäß.

Wir wünschen weiterhin so viel sprachliche Sensibilität.
Team Genderleicht

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Mitten im Sprachwandel ist beim geschlechtergerechten Schreiben und Sprechen vieles noch offen. Das Team Genderleicht recherchiert fachlichen Rat und orientiert sich bei seinen Anregungen und Empfehlungen am allgemeinen Sprachgefühl.

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